Schutzkonzepte in der Jugendarbeit
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Beschwerdemöglichkeiten

Schutzbaum

Kinder und Jugendliche müssen einfache Möglichkeiten haben, um Wünsche zu äußern, Rückmeldung zu geben, Beschwerden abzugeben sowie ggf. persönlichen Kummer und Sorgen zu äußern und Hilfe suchen zu können.

Was?
Gelingende Beschwerdemöglichkeiten beruhen auf gelingender Kommunikation. Grundlage dafür sind funktionierende Beteiligungsmöglichkeiten und demokratische Strukturen.

Neben Gesprächsangeboten sind strukturierte, mehr oder weniger formale interne und/oder externe Beschwerdemöglichkeiten auf jeden Fall sinnvoll. Diese sollten unbedingt niederschwellig und gut erreichbar, funktional, transparent und zuverlässig sein. Außerdem müssen Beschwerdeverfahren sicher und sensibel gegenüber Betroffenen sein.

Kindern und Jugendlichen sollten verschiedene Wege eröffnet werden, ihre Wünsche und Bedürfnisse zu artikulieren und Rückmeldung zu geben. Beispiele sind:

  • Interne und/oder externe Ansprechpersonen, Ombudspersonen, „Awarenessteam“
  • Schriftliche Beschwerdemöglichkeiten (z.B. Kummer- oder Postkasten, Rückmeldebögen, digitales Rückmeldesystem etc.)
  • Vertrauliche Einzelgespräche mit Betreuer:innen der eigenen Wahl
  • Gruppengespräche, die möglichst regelmäßig und zuverlässig stattfinden und in denen Anregungen, Anliegen und Kritik der Kinder und Jugendlichen Raum haben.
  • Institutionalisierte Gremien wie Schüler:innenvertretung, Jugendzentrumsbeirat, Kinder- und Jugendlichen-Konferenzen etc.
Wie?
Ansprechstellen und Beschwerdemöglichkeiten müssen so gestaltet sein, dass sie die Wünsche und Vorstellungen der potentiellen Nutzer:innen berücksichtigen.

Die Entwicklung des Beschwerdeverfahrens muss deshalb ein offener partizipativer Prozess sein. Faktoren, die die Qualität eines Beschwerdeverfahrens ausmachen:

  • Den Rahmen für alle Entscheidungen bilden die Kinderrechte.
  • Partizipation von Kindern, Jugendlichen und Mitarbeiter:innen im Prozess von Entwicklung und Implementation ist unerlässlich.
  • Ein Beschwerdeverfahren muss einfach zugänglich sein und es muss gute Information darüber geben.
  • Gebraucht wird die Möglichkeit der Beschwerde, ohne dass andere davon erfahren.
  • Es funktioniert nur durch die Thematisierung von Beschwerdemöglichkeiten im Alltag.
  • Das Alter und die kognitiven Kompetenzen der Mädchen und Jungen müssen bei der Wahl des Verfahrens berücksichtigt werden.
  • Es braucht mehr als einen, am besten vielfältige Beschwerdewege: intern, extern, Sprecher:innen, schriftlich, Ansprechperson.
  • Wichtig sind Transparenz und Verlässlichkeit bei der Bearbeitung von eingegangenen Beschwerden.

Nach: Urban-Stahl, Ulrike et al: Beschweren erlaubt! 10 Empfehlungen zur Implementierung von Beschwerdeverfahren in der Kinder- und Jugendhilfe. www.duvk.de/materialien/infothek/beschweren-erlaubt/

Für die Praxis:

Vertrauenspersonen
In vielen Organisationen der Jugendarbeit gibt es die Funktion der sog. „Vertrauenspersonen“ als interne Ansprechpartner:innen zum Thema sexualisierte Gewalt.

Die Vertrauenspersonen sollen als Ansprechstellen für Fragen von Kindern und Jugendlichen, deren Eltern sowie Mitarbeiter:innen zur Verfügung stehen. Damit haben Vertrauenspersonen eine wichtige Funktion im Sinne des Beschwerdemanagements. Wird ein Fall von sexualisierter Gewalt vermutet, sollen sie zu einem fachlich richtigen und angemessenen Umgang mit der Situation beitragen und die Leitung im Krisenmanagement unterstützen. Dadurch soll die Handlungssicherheit im Umgang mit Vermutungsfällen erhöht werden. Außerdem kann der Einsatz von Vertrauenspersonen nach Innen und Außen ein klares Signal gegen sexualisierte Gewalt setzen.

Wir raten davon ab, die Funktion der Vertrauensperson mit Personen zu besetzen, die beruflich in der Strafverfolgung tätig sind. Mitglieder der Strafverfolgungsbehörden (z.B. Polizist:innen, Staatsanwält:innen…) unterliegen der „Verfolgungspflicht“. Das heißt, dass für sie ggf. auch bei einer „außerdienstlichen Kenntniserlangung“ eine Pflicht zur Strafverfolgung besteht. Aus unserer Sicht ist dies mit der Rolle einer Vertrauensperson nur schwer vereinbar.

Beispiele:

BJR-Webseite „Vertrauenspersonen“: Informationen zur Funktion der „Vertrauensperson“, Weiterführende Links, Materialien (z.B. Mustervereinbarung, Dokumentationsvorlage) zum download.

Die Vertrauenspersonen der Deutschen Wander Jugend (DWJ): Informationen zu Voraussetzungen, Aufgaben und Ressourcen der Vertrauenspersonen bei der DWJ sowie ein Infoblatt dazu.

Beschwerdewege und Rückmeldungen bei Veranstaltungen/Freizeiten
Die ohnehin üblichen Rückmelde-/bzw. Feedbackbögen, die bei Veranstaltungen, Freizeiten und Fahrten eingesetzt werden, können durch relativ geringe Änderungen gezielt als Beschwerdemöglichkeit nutzbar werden.

Durch entsprechende Vorab-Informationen an alle Beteiligten wird die Möglichkeit vorgestellt und signalisiert, dass auch kritische Rückmeldungen erwünscht sind. Während der Veranstaltungen können verschiedene Möglichkeiten für Kommunikation, Austausch und Rückmeldung eingesetzt werden.

Beispiele:

Praxisbeispiel „Beschwerdewege und Rückmeldungen bei Veranstaltungen/Freizeiten“: Beispiele niedrigschwelliger Maßnahmen, die bei Freizeiten oder (mehrtägigen) Veranstaltungen ungesetzt werden können. (BJR-Arbeitshilfe „Praxis der Prävention“, S. 23 f.). 

„Postkasten“: Beispiel des Netzwerk Spiel/Kultur Berlin für eine offene Beschwerdemöglichkeit – nicht auf Beschwerden, sondern auf allgemeine Kommunikation mit den Besucher:innen ausgerichtet. 

Fragebögen zum Erfassen des Wohlbefindens von Kindern und Jugendlichen bis 14 Jahren und ab 14 Jahren, jeweils mit ausführlichen Erklärungen zu Einsatz und Auswertung. Anhand der Fragebögen können vereinseigene Maßnahmen evaluiert werden und das Wohlbefinden von Kindern und Jugendlichen während der Maßnahme erfasst werden. Entwickelt von der deutschen Sporthochschule Köln.

„Peer-Disclosure“
„Disclosure“ bezeichnet den Prozess des Sich-Anvertrauens. Wenn betroffene Jugendliche über erlebte sexualisierte Gewalt sprechen, dann wenden sich an eine Person ihres Vertrauens. Dies sind häufig nicht Erwachsene, sondern in mindestens der Hälfte der Fälle "Peers", also gleichaltrige Freundinnen bzw. Freunde.

Der Prozess des Sich-Anvertrauens ist häufig mit Schwierigkeiten und Konflikten für beide Seiten verbunden. Die (erwarteten und tatsächlichen) Reaktionen auf das Anvertrauen haben folgenreiche Auswirkungen – positive wie negative. Auch die "eingeweihten" Peers können durch dieses Wissen schwer belastet und überfordert sein. Jugendleiter:innen sind häufig selbst noch sehr jung und mehr oder weniger Teil der Peergroup. Daher ist naheliegend, dass gerade sie als Adressat:innen von Disclosure infrage kommen. Auch junge Jugendleiter:innen sollten deshalb z.B. im Rahmen von Präventionsangeboten auf Situationen vorbereitet werden, in denen sie von sexualisierter (Peer-)Gewalt erfahren.

Beispiele:

„Hilf mir zu helfen“ – ein Werkbuch für die Praxis: Das DJI-Forschungsprojekt „Peers als Adressat:innen von Disclosure und Brücke ins Hilfesystem“ hat diese Anvertrauensprozesse unter Jugendlichen beleuchtet. Aus diesen Erkenntnissen wurde das Werkbuch entwickelt, das drei Präventionsmodule sowie verschiedene Übungen und Anregungen für die Praxis enthält. Zusätzlich stehen Präsentationen zu den Modulen zur Verfügung. 

Externes Ombudssystem
Formales Verfahren für Beschwerden, nicht für allgemeine Rückmeldungen/Feedback. Meldungen werden direkt an externe Ombudspersonen gerichtet, die die Anliegen bearbeiten.

Nur die Ombudspersonen haben Zugriff auf die Beschwerde und ggf. die Daten. Auch anonyme Beschwerden können bearbeitet werden. Die Ombudspersonen prüfen, wie die Beschwerde am besten beantwortet oder bearbeitet werden kann. Es informiert den:die Beschwerdeführer:in bzw. unterbreitet einen Verfahrensvorschlag.

Beispiele:

Online-Beschwerdemanagement der BKSF (Bundeskoordinierung Spezialisierter Fachberatung): Online-Beschwerdemöglichkeit, über das sich sich Personen, die eine Beschwerde gegen Mitarbeiter:innen der BKSF oder die BKSF als Organisation haben, an ein externes Ombudsteam wenden können.